Wegen der Terrordrohung der Dadaisten mussten besondere Sicherheitsvorkehrungen für die Uraufführung im Stadtpark getroffen werden. Schließlich ging es um das Wohl vieler Menschen. Aber der Veranstalter hatte dafür kein Geld. Dennoch musste die angesehenste ortsansässige Sicherheitsfirma eingeschaltet werden. Ihr Chef, ein ehemaliger Polizist, hatte sich selbstständig gemacht und konnte dank seiner ausgezeichneten Beziehungen zu den städtischen Behörden alle bürokratischen Hemmnisse bei der Gründung seiner Firma zügig ausräumen. Selbstverständlich war er Mitglied der Partei, die im Rathaus gerade das Sagen hatte, und außerdem war er mit der Schwester des Veranstalters verheiratet. Das für Terror zuständige Amt zapfte eine stille Reserve an und versetzte den Veranstalter damit in die Lage, der Firma seines Schwagers einen attraktiven Auftrag zuzuschustern. So hatte alles seine filzige Ordnung.
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Im Vorbeigehen sah Anton Schriller eine üppige, nicht mehr junge Dame mit einem tiefen Dekolleté, auf das sie besser verzichtet hätte. Er kannte sie, aber er kam nicht drauf, wo er ihr begegnet war. Umso besser wusste er dagegen die beiden Frauen einzuordnen, die ihm jetzt entgegenkamen: Es waren Mitglieder der Frauengruppe, die seine Exfrau für den Feminismus gewonnen oder – aus seiner Sicht – dazu verführt hatte. Säuerlich blickten sie ihn an, unschlüssig, ob sie ihn grüßen sollten. Er zwang sich zu einem Lächeln. In diesem Augenblick erinnerte er sich, woher er die üppige Dame kannte. Es war die Betreiberin des Vorort-Bordells, in dem sein Doppelleben begonnen hatte.
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Alle kannten den Direktor eines der städtischen Museen, weil er ein bemerkenswertes Geschick hatte, sich auffällig zu kleiden. Er selbst hatte sein papageienhaftes Outfit auf einer Pressekonferenz, wo ein vorlauter Journalist ihn nach seinem Modeberater fragte, als „poppig“ und „postmodern“ bezeichnet. Auch trug er immer eine knallrote Fliege, die sehr gut zur Geltung kam, weil er ein fliehendes Kinn hatte.
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Else Pompe - keine Dame, sondern ein Biest mit Haaren auf den Zähnen - bemitleidete Anton Schriller wegen seiner Liebe zur klassischen Musik. Denn wie konnte ein erfolgreicher Mann in den besten Jahren so viel Zeit auf solchen peripheren Plunder verwenden? Irgendetwas könne mit Anton Schriller nicht stimmen. In dieser undeutlichen Vermutung fühlte sie sich später bestätigt, als er sich vorzeitig pensionieren ließ. Für eine sozialdemokratische Arbeitsbesessene wie sie lag ein derartiger Schritt in der Nähe von Drückebergerei. Allerdings ging sie nicht so weit wie jene Ehrgeizlinge, die Familie und Ehe dem eigenen Ansehen und Aufstieg in der Firma opferten und alle Frühpensionäre für Schmarotzer hielten.
„Der Großkomponist hat erkannt, dass Selbstmystifizierung preisgünstiger ist als jede Werbung”. Anton Schriller, der „Held” der Uraufführung.
Eine Wahrsagerin weissagte dem Kritikerpapst: „Du wirst als Wunderkind wiedergeboren und in der Carnegie Hall den Minutenwalzer von Chopin in nur 30 Sekunden spielen”.
Der Kulturdezernent: „Politik ist die Verschwörung der Heuchler.”
„An chronischer Entrüstung“, dachte Anton Schriller, „leiden viele Journalisten.”
„Sie hat ein Lächeln, das Frühling für alle Zeit verspricht”. Anton Schriller, im Polizeiverhör, über die Chinesin
„Schön, dass Sie gekommen sind“, sagte der Herr auf dem Polizeipräsidium, “bitte nehmen Sie Platz“. Er wies auf einen schmucklosen Stuhl.
„Bei der Uraufführung im Stadtpark, einem sehr bedeutenden kulturellen Ereignis, wie die Presse meint, bei dieser Uraufführung sind Sie auf das Heck eines Jaguars gesprungen. Sie sind quer durch den Park gerollt und am Ende in einer Nebelbank verschwunden, so jedenfalls sagen einige Augenzeugen, andere wollen Sie und den Wagen sogar über den Baumwipfeln gesehen haben. Ich lasse diese Aussagen derzeit überprüfen. Übereinstimmend sagen aber alle Zeugen, dass in dem Jaguar niemand gesessen habe, auch nicht auf dem Fahrersitz. Wie das Auto starten und losrollen konnte, haben wir noch nicht ermitteln können. Vielleicht hatte der innovative Komponist des uraufgeführten Werkes seine Finger im Spiel, dann wäre es ein Teil der Multimedia-Show gewesen - was ist das eigentlich? - und folglich wären hier die Kritiker zuständig. Aber darum geht es mir nicht. Wir von der Polizei wollen den Wagen wieder finden und den Diebstahl aufklären. Sie sind allem Anschein nach die letzte Person, die mit dem PKW zu tun hatte. Ich will also wissen, warum Sie sich auf das Heck des rollenden Wagens geschwungen haben, obwohl er Ihnen nicht gehört.“
Anton Schriller betrachtete den Herrn von der Polizei nicht ohne Wohlwollen, denn er verstand natürlich, dass er diese nahe liegende Frage stellen musste. Schließlich ist es nicht gang und gäbe, dass sich Besucher von Uraufführungen von hinten auf Autos katapultieren.
„Der Besitzer des Wagens, ein untersetzter, dickbäuchiger Herr fortgeschrittenen Alters, der mich am Parkausgang abfing – dieser untersetzte Herr glaubt, dass ich sein Auto gestohlen habe. Als unbescholtener Bürger muss ich klarstellen, dass ich kein Autodieb und kein Autoschieber bin und auch keine Kontakte in osteuropäische Länder habe, in denen gestohlene Edelautos angeblich vermarktet werden.“
Der Herr von der Polizei runzelte die Stirn und schaute ihn versonnen an.
„Ich bin in den Park gegangen, um einem – wie Sie selbst bemerkten - bedeutenden kulturellen Ereignis beizuwohnen, obwohl ich kein großer Freund dieses Komponisten bin. Multimedia ist übrigens eine neumodische Bezeichnung für die gute alte Oper“, fügte er hinzu. Er sah, dass sich sein Gegenüber zu langweilen begann. „Wie viele andere, habe ich mich von dem PR-Rummel, der im Vorfeld für diese Uraufführung veranstaltet wurde, beeindrucken lassen. Ich wollte dabei sein. Außerdem war es ein herrlicher Sommerabend, der einen Besuch in unserem schönen Stadtpark nahelegte. Ich weiß, dass Ihre berechtigte Frage damit keineswegs beantwortet ist, und ich gestehe Ihnen, dass ich drum herum reden muss, weil ich Ihre Frage nämlich nicht beantworten kann.“
Der Herr von der Polizei weitete verdutzt die Augen und schob seinen kantigen Schädel ruckartig nach vorn:
„Wie bitte? Sie können nicht sagen, warum Sie auf das Heck gehechtet sind? Hatten Sie keinen Grund? Oder wollen Sie andeuten, dass Ihr Hechtsprung Teil der multimedialen oder meinetwegen Opern-Aufführung war und dass Ihre Tat somit nichts anderes war als die Ausübung künstlerischer Freiheit, die keiner Begründung und vor allem keiner Rechtfertigung gegenüber der Polizei bedarf?“
„Nein, nein“, entgegnete Anton Schriller schnell, „ich sagte schon, dass ich kein Fan des Komponisten bin, und deswegen wäre ich auch nicht bereit gewesen, an seinem multimedialen Spektakel mitzuwirken – erst recht nicht mit einem Hechtsprung auf ein Auto, das mir nicht gehört. Übrigens habe ich erfahren, dass der untersetzte Herr seinen Jaguar nur deswegen an dieser zentralen Stelle mitten in der Aufführung abstellen konnte, weil er der Hauptsponsor der Veranstaltung war. Ihm konnte keine Bitte abgeschlagen werden, denn er hatte in seiner Firma eine beträchtliche Summe für die Uraufführung locker gemacht. Seine Firma will sich nämlich kulturell positionieren, um das schlechte Image wegen einer Schmiergeldaffäre in einem fernen südlichen Land aufzubessern.“
Der Herr von der Polizei schüttelte ungeduldig den Kopf, weil diese Affäre mit dem vorliegenden Fall nun wirklich nichts zu hat. Daher kehrte Anton Schriller sofort zur Uraufführung zurück:
„Der Komponist, der sich immer mit seinen exorbitant hohen künstlerischen Ansprüchen wichtig tut, wütete gegen das Automobil mitten in seinem Werk, denn es passe nicht im geringsten in sein Konzept. Als er aber die Höhe des gespendeten Betrags erfuhr, zog er seinen Einwand zurück und lobte die deutsche Wirtschaft wegen ihres großen kulturellen Engagements in höchsten Tönen. Sie verstehen, dass ich einen derartigen Opportunisten nicht schätzen kann. Nein, es wäre mir nicht im Traum eingefallen, an der Uraufführung mitzuwirken. Im Übrigen wusste niemand, dass ich zu derartigen Hechtsprüngen fähig bin – ich am aller wenigsten. Auch dürfen Sie nicht denken, dass mich das neue Werk mit seinen optischen und akustischen Reizen zu einer derart sonderbaren Tat stimuliert hätte. Ganz und gar nicht. Denn die Show hat mich eher kalt gelassen. Ich habe die Lobeshymnen unsere Kritiker nicht verstehen können. Aber vielleicht haben diese wortreichen Schreiber, die ihren persönlichen Geschmack zu allgemeinen Werturteilen erheben, die höhere Einsicht, oder sie sind Opfer der in diesem Beruf weit verbreiteten ‚déformation professionelle’.“
„Nun hören Sie bitte auf, Herr Schriller“, sagte der Herr von der Polizei, der noch nicht gefrühstückt hatte und auch nicht wusste, was eine ‚déformation professionelle’ ist, „für all diese Einzelheiten muss ich mich nicht interessieren. Ich brauche eine klare Antwort auf die einfache Frage: Was wollten Sie auf dem Heck des Jaguars, wenn Sie ihn nicht stehlen wollten?“
Anton Schriller senkte den Kopf und meinte ein wenig kleinlaut: „Das kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen.“
„Herr Schriller, ich erlebe Sie hier als einen intelligenten Menschen, der sich verständlich machen kann. Ich nehme Ihnen nicht ab, dass Sie sich über die Gründe Ihres Tuns, zumal eines derart ausgefallenen Hechtsprungs in einer multimedialen Uraufführung, nicht im Klaren waren. Wenn ich in meinem Protokoll schreiben muss, dass Sie sich weigern, Ihre Gründe zu nennen, haben Sie schlechte Karten. Denn dann müssen die Polizei, der untersetzte Herr und dessen Anwalt Ihr Handeln weiterhin als Diebstahl ansehen.“
„Soll das etwa heißen“, jetzt brauste Anton Schriller auf, „dass der untersetzte Herr bei Gericht bessere Chancen hat als ich, nur weil er der Hauptsponsor ist?“
„Bitte Herr Schriller. Unsere Gerichte, das wissen Sie genau, sind nicht käuflich. Auch nicht durch Kultursponsoring. So, und jetzt will ich eine Antwort auf meine Frage, sonst muss ich unser Gespräch beenden“. Der Herr von der Polizei hatte ganz offensichtlich Hunger und sehnte sich nach den schmackhaften Kantinenbrötchen.
„Da Sie mir die Pistole auf die Brust setzen, muss ich Ihnen sagen, warum ich den Grund für meinen Hechtsprung nicht kenne. Ich muss Ihnen zur Erklärung eine Geschichte erzählen, was mir schwer fällt, weil sie in Ihren Augen wahrscheinlich verwerflich ist – ich meine: moralisch verwerflich, nicht juristisch.“
Er machte eine kurze Pause, schluckte hörbar und fuhr dann betreten fort:
„Ich habe ein eigentümliches Gebrechen, wohlgemerkt: nur eine kleine Abweichung vom Normalen, keine Krankheit. Wenn ich sehr angespannt oder erregt bin, kann es passieren, dass mein Gedächtnis aussetzt und ich in einen Trance-Zustand falle. Und genau das passierte mir bei der Uraufführung. Nicht wegen des Stücks dieses opportunistischen Komponisten, sondern wegen des fahrerlos anrollenden Jaguars war ich plötzlich völlig aufgewühlt und gänzlich außer mir.“
Der Herr von der Polizei blinzelte ihn zweifelnd von der Seite an und legte die Stirn in Falten.
„Stellen Sie sich vor, Sie stehen nichts ahnend hinter einem leeren Auto, das auf einmal losrollt - ohne Motorstart, ohne Fahrer. Da kann einem doch die Sicherung durchgehen. Das ist ein Wunder. Das ist Magie. Anders kann ich es nicht nennen. Jedenfalls setzte in diesem Augenblick mein Gedächtnis aus. Ich hatte ein totales Blackout. Deswegen habe ich keine Erinnerung an den Vorfall.“
„Was soll an diesem Gebrechen moralisch verwerflich sein?“ fragte der Herr von der Polizei misstrauisch.
„Nichts“, antwortete Anton Schriller, „höchstens die Ursache für mein Gebrechen“.
„Dann nennen Sie mir doch die Ursache, damit wir endlich weiterkommen“.
„Nun gut“, sagte Anton Schriller und atmete tief durch. „Ich bin Ende fünfzig. Mit 55 konnte ich unter günstigen finanziellen Bedingungen in Pension gehen, und seitdem konzentriere ich mich ganz auf geistige und künstlerische Dinge, die mich interessieren, vor allem auf die klassische Musik. Ich war verheiratet und bin seit Jahren geschieden. Trotzdem habe ich sporadischen Kontakt mit meiner Exfrau – freundschaftlich und zivilisiert. Jetzt bin ich gerne und genussvoll Single. Wenn mich trotzdem gelegentlich einmal eine kleine Krise überkommt, dann halte ich mir meine gescheiterte Ehe vor Augen, genehmige mir einen guten Rotwein aus Portugal, und dann ist die Krise vorbei.“
Er stockte. Sollte er sich vor diesem fremden Menschen, der immer ungeduldiger zu werden schien, wirklich entblößen und ihm die ganze Wahrheit sagen? Allen Mut musste er zusammennehmen, um seine Scham zu überwinden. Er hörte sich sagen:
„Mein Problem ist der Sex. Ich bin heterosexuell und brauche gelegentlich eine Frau. Deshalb gehe ich ab und zu ins Bordell. Es gibt übrigens in unserer Stadt recht angenehme Etablissements dieser Art, in denen es gesittet zugeht. Nicht schrill, nicht ordinär. Ich habe im Laufe der Jahre einige davon kennengelernt.“
„So, so“, schien der Herr von der Polizei sagen zu wollen, als er den Rücken straffte. Aber er sagte nichts.
„Es gibt dort sehr hübsche junge Frauen, die nichts von ausgebeuteten Huren an sich haben. So lernte ich eine zierliche Asiatin kennen. Sie sagte, sie sei 28, dabei sah sie wie 17 aus. Aber wir klobigen Europäer tun uns ja schwer bei der Einschätzung dieser grazilen Wesen mit ihrer unaufgesetzten Freundlichkeit, ihrer elfenbeinfarbenen Haut und ihren unergründlichen, schwarzen Augen“.
„Herr Schriller! Ich bin glücklich mit einer Deutschen verheiratet, und wir haben ein wunderbares Kind. An Ihren Puff-Erlebnissen bin ich wirklich nicht interessiert. Bitte tun Sie mir einen Gefallen und kommen Sie endlich auf den Punkt“. Der jetzt wirklich hungrige Herr von der Polizei musste sich offenbar sehr zusammennehmen.
Anton Schriller hätte es besser gefunden, wenn sich sein Gesprächspartner eine Kaffeepause gegönnt hätte. Er verabscheute dessen Beharrlichkeit, obwohl ihm klar war, dass sein Gegenüber insistieren musste. Es war schließlich sein Job. Zugleich sah Anton Schriller das Unvermeidliche kommen. Das Gespräch musste jetzt auf das Geheimnis zusteuern, das er unbedingt hüten wollte – das er jetzt aber preisgeben musste, um seine Haut zu retten.
Ein Krampf ließ ihn zusammenfahren. Wieder durchzuckte sein Gehirn jener gleißende Blitz, der ihn in der Uraufführung um den Verstand gebracht hatte und der jetzt die schöne Asiatin wieder erscheinen ließ. Ruhig und lässig stand Susi dort – mit einem wissenden Blick und diesem lockenden, verführerischen, betörenden Lächeln.
Glücklicherweise folgte dem Blitz kein Aussetzer – wie neulich im Stadtpark.
Es vergingen einige Augenblicke, dann hatte sich Anton Schriller wieder gefasst.
„Gut. Ich will versuchen, auf den Punkt zu kommen. Also: Ich suchte die Asiatin regelmäßig auf. Sie gefiel mir sehr. Sie war gleich bleibend freundlich, ja beinahe zärtlich. Das Liebesspiel wurde für mich von Mal zu Mal aufregender, atemberaubender. Meine Höhepunkte wurden immer ekstatischer. Zum Schluss hatte ich einen Orgasmus, wie ich es noch nie erlebt hatte. Ich weiß nicht, ob die Intensität des sexuellen Höhepunkts gemessen werden kann. Aber wenn es diese Möglichkeit gibt, so lag dieser Orgasmus sicherlich außerhalb des Messbereichs. Mein Herz raste und stolperte, ich keuchte wie ein Köter und stieß erschreckende Laute aus. In meinem Kopf gab es Explosionen. Mein Bewusstsein und Gedächtnis setzten aus.“
Anton Schriller machte erschöpft eine Pause. Dann fuhr er schicksalsergeben fort:
„Seit diesem Vorfall habe ich gelegentlich Aussetzer und leere Stellen in meinem Gedächtnis, so als ob die Festplatte in meinem Gehirn beschädigt wäre. Einen solchen Aussetzer hatte ich auch bei der Uraufführung, als der Jaguar zu rollen begann.“
Der Herr von der Polizei sagte beflissen: „Sie haben mich mit der netten Erzählung über Ihre Bordellbesuche zwar unterhalten, aber nicht moralisch empört. Wir von der Polizei erleben so manches. Außerdem sind wir hier nicht bei der Sitte. Was Ihr zerebrales Gebrechen betrifft, so gehe ich natürlich davon aus, dass Ihr Arzt diese Aussetzer bestätigen kann“.
„Oh nein“, sagte Anton Schriller schnell, „ich gehe zu keinem Arzt – niemals. Ich misstraue diesen geldgierigen Halunken. Einer von ihnen hat meine Mutter auf dem Gewissen. Sie musste am Herz operiert werden. Dabei machte der Arzt einen tödlichen Fehler, was ihm jedoch niemand nachwies. Denn die Gutachter, die natürlich ebenfalls Ärzte waren, steckten mit diesem Pfuscher und Nichtskönner unter einer Decke. Nein, nein – niemals werde ich mich einem von diesen Leuten ausliefern. Warum sollte ich auch? Ich bin ja nicht krank, ich habe nur ein Gebrechen.“
Der Herr von der Polizei hob besorgt die Augenbrauen.
„Wenn es keinen Arzt gibt, der aus medizinischer Sicht zu Ihrem Gebrechen etwas sagen kann, sind Sie darauf angewiesen, dass ich Ihnen glaube. Und wenn ich das nicht tue? Wollen Sie etwa, dass ich Ihre Bordellbesuche als eine Entschuldigung für Ihr eigentümliches Verhalten bei der Uraufführung ansehe? Oder dass ich Ihre hübsche Asiatin für Ihr lebhaftes Interesse an dem Jaguar verantwortlich mache? Nein, mein Herr. Gebrechen hin oder her: Sie sind gehechtet, dafür gibt es viele Zeugen, und dafür sind Sie allein verantwortlich. Seit ihrem Hechtsprung ist das Auto weg, und somit sind Sie der Diebstahlverdächtige.“
Der Herr von der Polizei erhob sich. Er sagte Anton Schriller, dass er ihn in der Sache später wieder sprechen müsse, wenn die Ergebnisse der Ermittlungen vorlägen. Dann begleitete er ihn aus seinem Büro. Auf dem Korridor verabschiedete er sich mit „Einen schönen Tag noch“, wies ihn nach links zum Ausgang und bog nach rechts ab in die Kantine.